Ratgeber

Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums vom 22. August 2008

„Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf und Behinderungen"

Az.: 31-6504.2/534 (K.u.U. Nr. 14-15/2008, S. 149ff)

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  1. Allgemeine Ziele und Grundsätze

Die Förderung von Schülerinnen und Schülern (im Folgenden: Schüler) mit besonderem Förderbedarf und Behinderungen ist Aufgabe in allen Schularten. Besondere Förderbedürfnisse können sich insbesondere ergeben bei Schwierigkeiten im Lesen oder Rechtschreiben, in Mathematik, bei mangelnden Kenntnissen in der deutschen Sprache (vgl. hierzu Verwaltungsvorschrift zur Sprachförderung vom 1. August 2008, K.u.U. S. 57), bei besonderen Problemen im Verhalten und in der Aufmerksamkeit, bei chronischen Erkrankungen, bei Behinderungen oder bei einer Hochbegabung. Die individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen bestimmen den Unterricht und erfordern Differenzierung und Individualisierung. Für die persönliche und schulische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist es von grundlegender Bedeutung, dass ihre Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten auf allen Schulstufen erkannt werden.

Eine fortlaufende Beobachtung der Lernentwicklung, kontinuierliche Lernstandsdiagnosen, Elternberatung, ggf. die Erstellung von Förderplänen und die Durchführung von Fördermaßnahmen gehören zu den Aufgaben der Schule unter verantwortlicher Koordination der Schulleiterin oder des Schulleiters (im Folgenden: Schulleiter). Schulische Förderkonzepte werden unter Einbeziehung von verbindlichen Diagnose- und Vergleichsarbeiten Klassen übergreifend, klassenbezogen oder individuell entwickelt; sie können auch schul- und Schulart übergreifend konzipiert werden.

Der Erfolg von Förderung hängt entscheidend davon ab, dass der Bedarf rechtzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Hierfür ist eine Zusammenarbeit der Lehrerinnen und Lehrer (im Folgenden: Lehrer), auch der speziell qualifizierten Lehrer, Schulleiter und Eltern, ggf. mit Partnern im außerschulischen Bereich, notwendig, aber auch eine Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule sowie der Grundschule mit den hierauf aufbauenden Schulen und der allgemeinen Schulen mit den Sonderschulen.

Zur Beratung von frühzeitigen Präventionsmaßnahmen und Fördermaßnahmen kann die Schule Experten insbesondere aus dem Kreis der Beratungslehrer, schulpsychologischen Beratungsstellen und der Sonderpädagogen sowie andere an der Fördermaßnahme Beteiligte einbeziehen. Mit Zustimmung der Eltern können in diesen Klärungsprozess Erkenntnisse aus Diagnose- und Fördermaßnahmen im Vorfeld und Umfeld der schulischen Förderung einschließlich der Jugendhilfe, einbezogen werden.

Soweit für unterstützende Maßnahmen weitere Leistungs- und Kostenträger erforderlich sind, werden sie frühzeitig in den Entscheidungsprozess einbezogen. Die Einrichtung besonderer Förderklassen bedarf der Zustimmung des Schulträgers.

 

  1. Aufgaben der Schule

2.1. Fördermaßnahmen an allgemeinen Schulen

Die Erkenntnisse aus den Lernstandsbeobachtungen und -diagnosen bedingen Art und Form der Förderung. Förderung erfolgt in der Klasse durch Maßnahmen der inneren Differenzierung. Dafür verantwortlich ist im Rahmen des schulischen Förderkonzepts der Klassen- bzw. Fachlehrer. Ist ein weiterer Förderbedarf feststellbar, können allgemeine Stütz- und Förderkurse eingerichtet werden.

Für Schüler, die Anhaltspunkte für einen darüber hinausgehenden Förderbedarf aufweisen, ist ein gestuftes pädagogisches Verfahren notwendig. Dieses leitet der Klassenlehrer im Einvernehmen mit dem Schulleiter ein. Die beteiligten Lehrer klären nach der differenzierten Ermittlung des Lernstandes und des Lernumfeldes in Beratung mit den Eltern und ggf. schulischen Experten den besonderen Förderbedarf. Danach beschließt die Klassenkonferenz im Benehmen mit dem Schulleiter die besonderen Fördermaßnahmen auf der Grundlage einer diagnosegeleiteten Förderplanung. Die Förderung kann außerhalb der Regelklasse in Fördergruppen bzw. Förderklassen, in Ausnahmefällen auch als zeitlich befristeter Einzelunterricht, stattfinden und wird von dafür qualifizierten Lehrkräften erteilt. Klassenunterricht und Fördermaßnahmen werden eng abgestimmt. Die Förderung und Entwicklung wird nachvollziehbar dokumentiert. Ihre Wirksamkeit wird in regelmäßigen Zeitabständen überprüft.

Soweit sich Maßnahmen als notwendig erweisen, die von der einzelnen Schule nicht leistbar sind, werden im Zusammenwirken von Schule und Eltern weitere schulische und außerschulische Partner, insbesondere die zuständige Schulaufsichtsbehörde, der Schulträger oder der zuständige örtliche Träger der Jugendhilfe oder der Sozialhilfe einbezogen. Die Koordination erfolgt ggf. durch die Schulaufsichtsbehörde.

Die Bereitstellung der für die Fördermaßnahmen notwendigen Lehrerwochenstunden richtet sich nach der jeweiligen Verwaltungsvorschrift Eigenständigkeit der Schule und Unterrichtsorganisation.
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2.2 Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten in Mathematik

 

Bei Schülern mit besonderen Schwierigkeiten in der mathematischen Begriffsbildung und beim mathematischen Denken und Handeln kommt der frühzeitigen Erkennung und Förderung eine besondere Bedeutung zu.

Mit dem Erfassen der individuellen Fähigkeiten zu Beginn des Anfangsunterrichts wird das Risiko später auftretender Schwierigkeiten in Mathematik erkennbar. Spätestens ab dem Anfangsunterricht soll bei den Schülern eine Beobachtung der Lernvoraussetzungen für Mathematik in Verbindung mit einer kontinuierlichen Lernstands- und Lernprozessbeobachtung erfolgen. Im Bedarfsfall werden geeignete diagnostische Verfahren eingesetzt.

Um in der Grundschule den Förderprozess zur Behebung der besonderen Schwierigkeiten in Mathematik zu unterstützen, wird auf die Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs nach Ziffer 2.3.1 hingewiesen.

 

2.3 Leistungsmessung und Leistungsbeurteilung, Nachteilsausgleich

2.3.1 Allgemeine Grundsätze

Die schulische Leistungsmessung steht im Dienst der Chancengleichheit. Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung. Um dieses Recht einzulösen, ist eine Leistungsmessung erforderlich, die sich nach einheitlichen Kriterien und einem einheitlichen Anforderungsprofil richtet. Die hierauf beruhende Notengebung bildet die Grundlage für Schullaufbahnentscheidungen.

Die Chancengleichheit ist eine Ausformung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich"). Dieser Satz verlangt nicht, bei allen Menschen die gleichen Handlungsmuster anzulegen. Der Gleichheitssatz bedeutet vielmehr, dass die Menschen vor dem Gesetz nach den gleichen Maximen zu behandeln sind, dass also Lebenssachverhalte, die von ihrem Wesen her gleich sind, auch rechtlich gleichgestellt werden müssen; der Gleichheitssatz bedeutet aber auch umgekehrt, dass bei Lebenssachverhalten, die von ihrem Wesen her ungleich sind, von Rechts wegen zu differenzieren ist. Insofern kann es auch rechtlich geboten sein, Nachteile von Schülern mit besonderem Förderbedarf oder mit Behinderungen auszugleichen.

Dieser auf dem Gleichheitssatz beruhende Anspruch zur Differenzierung muss aber – wiederum aus Gründen der Gleichbehandlung aller Schüler – eine Grenze finden: Die Anforderungen in der Sache selbst dürfen nicht eigens für einzelne Schüler herabgesetzt werden. Die Hilfestellungen für den Schüler ebnen ihm also Wege zu dem schulartgemäßen Niveau; dieses Niveau dann zu erreichen, kann aber auch Schülern mit besonderem Förderbedarf oder Behinderungen nicht erlassen werden.

Der Nachteilsausgleich für Schüler mit besonderem Förderbedarf oder für behinderte Schüler lässt daher das Anforderungsprofil unberührt und bezieht sich auf Hilfen, mit denen die Schüler in die Lage versetzt werden, diesem zu entsprechen. Die Art und Weise solcher Hilfen hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Zum einen können die allgemeinen Rahmenbedingungen auf die besonderen Probleme einzelner Schüler Rücksicht nehmen. Daneben sind auch besondere, nur auf einzelne Schüler bezogene Maßnahmen des Nachteilsausgleichs möglich, insbesondere durch eine Anpassung der Arbeitszeit oder durch die Nutzung von besonderen technischen oder didaktisch-methodischen Hilfen. Auch ist es möglich, die Gewichtung der schriftlichen, mündlichen und praktischen Leistungen im Einzelfall anzupassen; allerdings muss jede dieser Leistungsarten eine hinreichende Gewichtung behalten. Im Rahmen des Nachteilsausgleichs ist es insoweit auch möglich von den äußeren Rahmenbedingungen einer Prüfung abzuweichen.

Solche besonderen, auf einzelne Schüler bezogenen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs sind nur in besonders begründeten Ausnahmefällen gerechtfertigt; in den beruflichen Schulen sind sie nur möglich, soweit sie mit den jeweiligen spezifischen Ausbildungszielen vereinbar sind. Mit bindender Wirkung für die Fachlehrer obliegt die Entscheidung der Klassen- oder Jahrgangsstufenkonferenz, soweit deren Mitglieder den Schüler unterrichten, unter Vorsitz des Schulleiters, ggf. unter Hinzuziehung eines Beratungs- oder Sonderschullehrers, schulischer Ansprechpartner, LRS-Fachberater oder in Ausnahmefällen der örtlich zuständigen schulpsychologischen Beratungsstelle; die Klassen- oder Jahrgangsstufenkonferenz kann außerschulische Stellungnahmen oder Gutachten in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen. Die betroffenen Schüler und Eltern werden frühzeitig in die Entscheidungsfindung einbezogen. Maßnahmen des Nachteilsausgleichs können in der Klasse begründet und erläutert werden. Maßnahmen des Nachteilsausgleichs werden nicht im Zeugnis vermerkt.

Mögliche Härten, die sich aus dem für alle Schüler gleichermaßen geltenden Anforderungsprofil ergeben, können mit den jeweiligen bestehenden Ermessungsspielräumen gemildert werden, insbesondere bezüglich Nachlernfristen, Ausnahmeregelungen bei Versetzungsentscheidungen, zusätzlichen Wiederholungen von Klassen oder Jahrgangsstufen, Ergänzungen der Noten durch verbale Beurteilungen oder Ausnahmeregelungen bei der Aufnahme in weiterführende Schulen.
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2.3.2 Besonderheiten bei Schülern mit Schwierigkeiten im Lesen oder Rechtschreiben

Vom Prinzip, dass für alle Schüler gleichermaßen das jeweilige Anforderungsprofil gilt, sind im Hinblick auf die besonderen Probleme des Schriftspracherwerbs in der Grundschule und in den unteren Klassen der auf der Grundschule aufbauenden Schularten Ausnahmen möglich.

Bis Klasse 6 gelten in den Fächern Deutsch und Fremdsprache für Schüler, deren Leistungen im Lesen oder im Rechtschreiben dauerhaft, d. h. in der Regel etwa ein halbes Jahr, geringer als mit der Note ausreichend bewertet wurden, additiv oder alternativ folgende Formen der Leistungsmessung und Leistungsbewertung:

In den übrigen Fächern werden die Rechtschreibleistungen nicht gewertet.

Ab Klasse 7 gilt dies nur in besonders begründeten Ausnahmefällen, wenn davon auszugehen ist, dass die Lese- oder Rechtschreibschwäche nicht auf eine mangelnde allgemeine Begabung oder auf mangelnde Übung zurückzuführen ist, sondern ein komplexes Feld an Ursachen für einen gestörten oder verzögerten Schriftspracherwerb vorliegt oder die Lese- oder Rechtschreibschwäche eine auf medizinischen Gründen beruhende Teilleistungsstörung ist.

Die Entscheidung, ob im Einzelfall von dem Anforderungsprofil abzuweichen ist, trifft jeweils die Klassenkonferenz unter dem Vorsitz des Schulleiters, ggf. unter Hinzuziehung der in Ziffer 2.3.1 genannten weiteren Stellen. Wenn die Note unter zurückhaltender Gewichtung für Rechtschreiben oder Lesen gebildet wurde, wird dies in der Halbjahresinformation und im Zeugnis unter „Bemerkungen" festgehalten. Wenn es pädagogisch vertretbar ist, kann mit Zustimmung der Eltern von der zurück-haltenden Gewichtung abgesehen werden.

In den Abschlussklassen, außer den Abschlussklassen der Grundschulen, und in den Jahrgangsstufen des Gymnasiums sind Ausnahmen von der Verbindlichkeit des allgemeinen Anforderungsprofils, insbesondere eine zurückhaltende Gewichtung bei der Leistungsmessung, nicht mehr möglich. Allerdings gelten auch hier die in Ziffer 2.3.1 genannte allgemeinen Grundsätze zum Nachteilsausgleich.

Zur Information der weiterführenden Schulen bietet die Grundschule den Eltern an, auf einem Beiblatt zur Grundschulempfehlung die Lese- oder Rechtschreibschwäche einschließlich der durchgeführten Fördermaßnahmen zu dokumentieren. Wechselt ein Schüler während des laufenden Bildungsganges in eine andere Schule, so können Informationen zu dem besonderen Förderbedarf dann weitergegeben werden, wenn sie zur Erfüllung der pädagogischen Aufgaben der aufnehmenden Schule erforderlich sindd.
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  1. bis 6. betreffen sonderpädagogische Einrichtungen (Sonder­schulen) und Kooperationsweisen der Regelschulen mit sonderpädagogischen Einrichtungen
  2. Inkrafttreten

Diese Verwaltungsvorschrift tritt mit Wirkung vom 1. August 2008 in Kraft.

Gleichzeitig tritt die Verwaltungsvorschrift „Förderung von Schülern mit Schwierigkeiten im Lesen und/oder Rechtschreiben" vom 10. Dezember 1997 (K.u.U. 1998 S. 1) außer Kraft.


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